Sex macht Spaß

Sex macht Spaß

Buchkritik zu:    SEX – DIE WAHRE GESCHICHTE

Christpher Ryan und Cacilda Jethá

Klett Kotta 2016

Orginalausgabe „Sex at Dawn“ 2010

Frauen haben Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung – viel Aufwand und Gefahr. Die Frauen wählen deshalb sorgsam aus, welcher Mann seine Gene mit den ihren mischen darf. Die Frauen erwählen nur gesunde starke, zahlungskräftige Männer, die Sicherheit geben. Nur wenige Männer schaffen es, Sexualpartner zu werden.

Klingt einleuchtend. Ist das aber die ganze Wahrheit? Wenn Frauen nur nach langer romantischer Probezeit und nach langem liebevollen Vorspiel Sex mit ihrem einen auserwählten Traummann haben, wozu gibt es dann im männlichen Ejakulat Killerzellen? Warum gibt es spezialisierte Spermien, die die Spermien anderer Männer töten können? Gibt es vielleicht noch eine andere Evolutionsgeschichte, eine Geschichte, in der viele Männer gleichzeitig vorkommen?

Christopher Ryan und Cacilda Jethá gehen in ihrem Buch SEX – DIE WAHRE GESCHICHTE dieser Frage nach.

Wir Menschen haben viele körperliche Merkmale, die nicht recht zu einer monogamen Vergangenheit passen wollen. Warum kühlt der sexuelle Reiz eines Partners nach einiger Zeit ab? Für eine lebenslange Bindung wäre doch eine lebenslange Erregung recht vorteilhaft. Warum haben die Menschenmänner so große Hoden? Große Hoden sind üblicherweise ein Zeichen von Promiskuität und Spermienkonkurrenz. Warum stöhnen Frauen beim Sex so laut? Bei anderen Affenarten soll dies weitere paarungswillige Männchen anlocken. Wieso eignet sich die Eichel so gut zum Hinausbefördern von schleimigen Flüssigkeiten, wenn die edle Dame immer nur mit dem einen Ehemann verkehrte? Wie könnten wir Menschen zu diesen interessanten Merkmalen gekommen sein?

Welche Tierart ist mit uns Menschen am nächsten verwandt? Unsere engsten Verwandten sind die Bonobos und die Schimpansen. Die Bonobos mit ihrem ungezügelten Sexualleben sind mit uns Menschen so eng verwandt wie die ebenfalls sexbesessenen, aber sehr patriarchalisch agierenden Schimpansen. Unterscheiden sich unsere menschlichen Sexualpraktiken – oder zumindest unsere Sexualwünsche – von denen unserer nächsten Verwandten?

Die Bonobofrauen haben – durch viel Sex mit allen Männern – den bei Schimpansen und Gorillas üblichen Kindermord bei Alphamannwechsel abgeschafft. Die Bonobomänner brauchen – anders als die Schimpansen- und Gorillamänner – nicht um Sex kämpfen und sind dadurch recht friedliche Zeitgenossen.

Die Autoren des Buches sind der Meinung, dass die meisten menschlichen Gesellschaften mit ihren strengen Regeln für die Sexualität nicht unserer biologischen Veranlagung entsprechen. Das patriarchale und monogame System hat sich ihrer Meinung nach erst mit der Entstehung der Landwirtschaft etabliert. Von den Frauen wurde voreheliche Enthaltsamkeit und eheliche Treue verlangt, weil dies für die Sicherung der Erbfolge nötig war. In den Zeiten vor der Landwirtschaft hatten die Frauen nach Ansicht der Autoren eine selbstbestimmte und vielfältige Sexualität.

Um dies zu beweisen, nehmen uns die Autoren mit auf eine Reise zu verschiedenen Wildbeuter-Stämmen. Bei den Wildbeutern – den Jägern und Sammlern – gibt es noch keinen nennenswerten Besitz, jeder ist auf die Unterstützung des anderen angewiesen. Und es herrscht sexuelle Freizügigkeit. Die sexuelle Freizügigkeit ist ein wichtiger Teil der Kultur dieser Gesellschaften. Die Frauen haben mit vielen Männern Verkehr und werden von vielen Männern unterstützt

Auch muss die Einführung der Landwirtschaft nicht zwingend zu Monogamie und Männerherrschhaft führen. Bei den in Südwestchina lebenden Mosuos sind die Frauen die Oberhäupter der Bauernhöfe. Die Männer kümmern sich tagsüber um ihre Nichten und Neffen und den Hof ihrer Mutter oder Schwester. Nachts werden sie von den Frauen des Ortes in ihre Schlafkammern gelassen. Ehen gibt es keine.

Das Buch setzt sich mit dem vorherrschenden Bild der lebenslangen monogamen Paarbeziehung als einzig akzeptabler Lebensform auseinander. Es wird gezeigt, dass wir eine promiskuitive Vergangenheit haben, die unsere Körper und unsere Hirne formte.

Die These, dass wir Menschen eine starke promiskuitive Veranlagung haben, wird im Buch überzeugend dargelegt. Die These, dass Monogamie ausschließlich kulturell entstanden sei, wird durch viele Indizien unterstützt, aber nicht wirklich bewiesen. Die Autoren mogeln sich um die Frage herum, ob es bei den Menschen nicht doch einen zarten biologischen Ansatz zur Monogamie gäbe. Es könnte ja sein, dass sich in den promiskuitiven Gruppen eine „kleine Monogamie“ zur besonderen Unterstützung der Frauen während der Kleinkindzeit gebildet haben könnte. In ihren Berichten über die verschiedenen Völker blitzen solche Hinweise immer wieder auf, ohne dass darauf eingegangen wird. Zum Beispiel lässt sich auch der riesige Erfolg des Kulturproduktes „Liebesroman“ wohl nicht ohne eine biologisch monogame Komponente erklären. Weil die Autoren ihre These aber erst einmal gründlich aufbauen müssen, sei es ihnen diese Lücke nachgesehen.

Der Leser wird neugierig, wie sich die kulturell und ökonomisch erzwungene Monogamie bzw. Polygynie – das Patriarchat – entwickelt haben könnte. Doch dieses komplexe Thema wird nur kurz angerissen, dieses Thema bräuchte wohl ein weiteres Buch.

SEX – DIE WAHRE GESCHICHTE ist eine sehr empfehlenswerte, den Horizont erweiternde Lektüre. Das Bild von uns und unserer Gesellschaft wird um einen wichtigen sozialen und soziobiologischen Baustein erweitert. Manche Begebenheiten des Lebens, die uns vielleicht irritieren, verstehen wir durch dieses Buch viel besser. Bleiben wir entspannt!