Warum ist hier alles so unordentlich?

Warum ist hier alles so unordentlich?

Die Thermodynamik eines Kinderzimmers

„Nun räum doch mal dein Zimmer auf!“ Wer hat nicht noch diese Worte seiner Eltern in den Ohren?  Wer von Ihnen – wenn Sie denn selbst Kinder haben sollten –   mahnt seine Kinder nicht immer wieder mit diesen Worten?
Wieso sind Kinderzimmer fast immer unordentlich? Fast scheint es ein Naturgesetz zu sein, das Kinderzimmer immer wieder unordentlich werden.  Oder ist es gar ein Naturgesetz?

Wenn wir dieser Frage nachgehen wollen, warum Kinderzimmer fast immer unordentlich sind, müssen wir uns überlegen, was häufig und was selten ist.  Stellen Sie sich ein Kinderzimmer vor. Ein aufgeräumtes Kinderzimmer. Sie haben sicher eine bestimmte Vorstellung wie es in einem aufgeräumten Kinderzimmer aussehen sollte.  Wichtig ist dabei das Wort „eine“.
Nun stellen Sie sich ein unaufgeräumtes Kinderzimmer vor. Wie sieht ein unaufgeräumtes Zimmer aus? Da fallen Ihnen hunderte  verschiedene  Varianten ein, die sich alle noch tausendfach modifizieren ließen.  Was ist also der Hauptunterschied zwischen einem aufgeräumten und einem unaufgeräumten Zimmer? Die Wahrscheinlichkeit seines Auftretens. Es gibt nur wenige Möglichkeiten eines aufgeräumten Zimmers, aber nahezu unendlich viele Möglichkeiten eines unaufgeräumten Zimmers.

Wenn Sie ein Zimmer gut durchschütteln, wie groß ist dann  die Wahrscheinlichkeit nach dem Schütteln ein aufgeräumtes Zimmer zu erhalten? Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit ein unaufgeräumtes Zimmer zu bekommen? Sie müssten das Zimmer viele Millionen mal Milliarden mal schütteln, um einmal das Zimmer im aufgeräumten Zustand vorzufinden.

Wenn sie das Zimmer nicht so oft schütteln wollen, dann können Sie das Zimmer auch einfach aufräumen.   Aufräumen bedeutet also, aus einem wahrscheinlichen Zustand  einen unwahrscheinlichen Zustand herzustellen.

Wie das Kinderzimmer, so strebt auch in der Natur alles zum wahrscheinlicheren  Zustand. Wobei „Streben“ hier nicht das richtige Wort ist. Die wahrscheinlichen Zustände stellen sich eben einfach ein, weil sie die wahrscheinlichsten sind. Mehr nicht.

Nehmen wir statt Teddybären, Socken und Kaugummis im Kinderzimmer einmal die Stickstoff- und Sauerstoffmoleküle der Kinderzimmerluft. Ein Stickstoffmolekül  Ihrer Raumluft kann überall sein.  An jedem Platz im Raum, an denen keine festen oder flüssigen Stoffe sind, kann sich das Molekül mit gleicher Wahrscheinlichkeit befinden. Da das auch für all die anderen Moleküle der Luft gilt, verteilen sie sich hübsch gleichmäßig über den Raum. Auch wenn jedes  Luftmolekül jederzeit in jedem Stück Raum sein kann, so ist es extrem unwahrscheinlich, dass  alle Moleküle der Luft gleichzeitig in der hinteren linken Ecke des Raumes sind. Und sollten sie es aus irgendeinem Grunde doch sein (z.B. vom Menschen dort hingeschoben), dann sind sie wenige Augenblicke später schon  wieder gleichmäßig verteilt im ganzen Zimmer.

Was für die frei beweglichen Moleküle gilt, gilt auch für die Energie. Energie ist frei beweglich und verteilt sich entsprechend der Wahrscheinlichkeit so, dass sie ziemlich gleichverteilt ist. Bestehende Ungleichheiten gleichen sich aus. Es ist also extrem wahrscheinlicher, dass  die Energie einer heißen Tasse Tee in die den Tee umgebende lauwarme Luft übergeht,  als dass die Energie der lauwarmen Luft ausgerechnet in die heiße Tasse Tee fließt und diesen noch heißer macht.

Zurück zum Kinderzimmer. Sie wissen, wenn Sie Ihr Zimmer  schütteln oder das Zimmer  den Kindern überlassen, wird  sich im Zimmer mehr und mehr eine Gleichverteilung einstellen. Die Socken sind nicht mehr nur im Sockenfach, sondern mehr oder minder gleichmäßig im Zimmer verteilt. Ebenso die Stifte, die Bausteine etc. pp..

Die Tendenz von Energie und stofflicher Materie zu Gleichverteilung wird im 2. Hauptsatz der Thermodynamik beschrieben. Der 1. Hauptsatz ist der Energieerhaltungssatz, auf den ich hier nicht weiter eingehen möchte. Ich wollte hier den zweiten Hauptsatz zitieren, habe aber keine Formulierung gefunden, die ganz korrekt ist und dabei  ohne Erklärung verstanden werden kann.  Also sage ich jetzt einfach, der 2. Hauptsatz der Thermodynamik, besagt, dass sich Zustände in wahrscheinlichere Zustände verändern. Eine kalte Luft und eine heiße Tasse Tee wandeln sich in lauwarmen Tee und lauwarme Luft um. Gase mit hohem Druck und Gase mit niedrigem Druck mischen sich zu einem Gas mit mittlerem Druck.  Aufgeräumte Kinderzimmer wandeln sich bei Benutzung immer in unaufgeräumte Kinderzimmer um.
Statt diese allgemeine Tendenz zu beschreiben, wird der zweite Hauptsatz auch oft als Ausschluss formuliert. Es ist unmöglich, dass sich ein Gegenstand von selbst erwärmt, indem Wärme aus der anfangs gleich temperierten Umgebung in ihn hineinfließt (Unmöglichkeit eines Perpetuum Mobiles 2. Art). Es ist unmöglich, dass sich Gas von selbst in einer Ecke des Raumes konzentriert. Es ist unmöglich, dass ein Kinderzimmer von selbst ordentlich wird.   

Wir wissen, dass wir Tee heiß machen können, dass wir Gas zusammenpressen können und selbst Kinderzimmer lassen sich aufräumen. Das Aufräumen, das Gas komprimieren und das Tee kochen erfordert aber Energie.

Alles was ich bisher zum Thema 2.Hauptsatz gesagt habe, ist Allgemeinwissen.  Jetzt stelle ich die Frage: „ Können wir berechnen, wie viel Energie wir für die genannten Tätigkeiten brauchen?“  Ich glaube die Mehrheit von Ihnen wird, und wenn es unter Zuhilfenahme des Lehrbuches ist, in der Lage sein, zu berechnen wie viel  Energie es braucht, um Wasser heiß zu machen. Wer in Physik gut war bekommt auch noch den Energieaufwand für die Gaskompression ausgerechnet. Aber wie berechnet man den Aufwand für  das Kinderzimmeraufräumen?

Beim Aufräumen wandeln wir ja einen wahrscheinlichen Zustand in einen unwahrscheinlichen Zustand um. Wir erhöhen die Ordnung des Systems. Anders formuliert: wir verringern die Unordnung des Systems.  Dabei  hängt das Maß der erforderlichen Arbeit  beim Kinderzimmeraufräumen vom Grad der Unordnung ab. Diese Unordnung lässt sich in Zahlen fassen und in die Berechnung einbeziehen. Heißt das, dass sich herumliegende Socken und ungewaschene T-Shirts mathematisch beschreiben lassen? 
Ja, Unordnung hat eine wissenschaftliche Bezeichnung. Unordnung heißt Entropie.

Um die Unordnung, also die Entropie,  in einem System zu verringern, brauchen wir Energie. Wie viel Energie benötigt wird, hängt von der Entropie des Systems und davon, wie weit wir die Entropie verringern wollen ab. Soll das Kinderzimmer nur betretbar werden, soll es ordentlich aussehen oder wirklich ordentlich sein? Was aber bedeutet ordentlich? Soll alles innerhalb einer Minute zu finden sein? Soll alles im richtigen Schubfach liegen? Oder soll alles in diesem Schubfach millimetergenau platziert sein. Je nachdem, wie streng ihr Kriterium „ordentlich“ definiert ist, brauchen Sie viel oder sehr viel Energie, um diesen Zustand zu erreichen.

Und hier ist der Text zu Ende, ohne ein schönes Ende gefunden zu haben. Der Text hat noch zu viel Entropie und es muss noch Arbeit hinein gesteckt werden um ihn zu einem guten Text zu machen. Dazu war der Autor aber zu bequem. Womit wir dann schon beim Zusammenhang von Entropie und Faulheit wären, den wollen wir aber aus Bequemlichkeit hier nicht mehr betrachten.   

Steffen Münzberg