Das Telefon singt und klingelt nicht

Das Telefon singt und klingelt nicht

Das Telefon singt und klingelt nicht. Das Telefon schweigt mich an. Wieso rührt sich der Kerl nicht? Wie bringt er es fertig, eine Frau wie mich nicht anzurufen? Mich nicht anzurufen, wo ich doch hier auf seinen Anruf warte? Hat sein Männergehirn denn keine Ahnung, wie ich mich fühle?

Männer! Warum gebe ich mich auch immer wieder mit ihnen ab? Immer wieder gerate ich an solch schwierige Figuren. Treffe ich doch einen, der sagt, er wäre Schriftsteller. Er schreibt ein Buch. Er dichtet mir ein Gedicht aus dem Stegreif, blickt mir tief in die Augen, und sagt dann: „Solange mein Buch nicht fertig ist, habe ich keine Zeit für Frauen.“.

Ich war mit einem zusammen, der hielt ständig Ausschau nach anderen Frauen. Ich stellte ihn zur Rede und was machte er? Er setzte sich eine Sonnenbrille auf, damit ich seine weit schweifenden Blicke nicht mehr sehe. Warum reichte es dem Mann nicht, seine Blicke auf mir ruhen zu lassen?

Nun ruf schon an! Du warst doch gestern so gesprächig. Es war gestern so schön mit dir. Und die Tage davor, als wir uns Bit für Bit näher kamen. Wir haben uns im Internet kennen gelernt. Geplauder ganz aus der Ferne. Ohne uns zu sehen, zu riechen oder zu hören. Ganz auf der geistigen Ebene. Wirklich Hochgeistiges haben wir nicht geschrieben. Ich heiße…, ich wohne…, ich arbeite als…, Kinder…. Und dann: meine Telefonnummer ist:… .

Da hast du gleich angerufen. Ohne mich warten zu lassen. Beim Telefonieren haben wir uns nicht lange aufgehalten. Gestern waren wir Essen. Nein, wir haben gespeist. Du hast  mir aus dem Mantel geholfen. Hast mir galant den Stuhl hingeschoben. Und dann haben wir geplaudert. Du hast über dich erzählt, ich habe über mich erzählt, zumindest das, was ich dir jetzt schon zumuten kann. Du bist handwerklich begabt, gehst ins Theater, manchmal, liest Bücher und liebst die gleichen Filme wie ich. Und du machst sogar deine drei Kreuze bei der gleichen Partei wie ich. Das passt doch. Und du bist so witzig. Ich habe den halben Abend gelacht. Das war wirklich schön. So könnten alle Männer sein, hatte ich mir gedacht. Aber warum sind sie das eigentlich nicht? Warum sind nicht alle Männer witzig und humorvoll? Das war wohl früher beim Jagen nicht so wichtig? Den Antilopen Witze erzählen, bis sie vor Lachen tot umfallen, nein, diese Jagdmethode benutzten unsere Vorfahren wohl nicht. Wenn Humor fürs Überleben in der Urzeit nicht wichtig war, wieso ist Humor dann für mich so wichtig?

Weißt du, was ich dir nicht erzählt habe? Wenn in einem Vierteljahr mein Chef in Rente geht, werde ich seine Nachfolgerin. Ich kann es eben. Jung, na ja so einigermaßen, und erfolgreich. Was will Mann mehr? Eine Frau, die du nicht durchzufüttern brauchst. Eine Frau, die den Kindern auch noch in der zehnten oder vielleicht auch zwölften Klasse bei den Hausaufgaben helfen kann. Da lohnt es sich doch anzurufen. Oder bist so wie die meisten Männer? Kommst du mit erfolgreichen Frauen nicht klar? Möchtest du eine Frau, die zu dir aufschaut, dich bewundert und all deine Macken als Ausdruck deines Genies akzeptiert? Warum haben so viele Männer Probleme mit erfolgreichen Frauen? Männer wollen doch erfolgreich und wichtig sein, um gute Frauen zu bekommen. Und wenn ihnen dann das unverdiente Glück zuteil wird, dass sich solch eine Frau ihrer annimmt, dann sind sie damit überfordert. Was lief da schief in der Evolution? Oder war es gar nicht die Evolution? Egal, wer daran schuld ist, ich habe nun das Problem. Das Problem, dass die Männer mit meinem Erfolg ein Problem haben. Aber du bist bestimmt anders. Du nimmst es bestimmt mit Gelassenheit hin, wenn ich dir zu Hause mal eine klare „Handlungsanweisung“ gebe. So wie ich es im Büro manchmal tue. Meine Kollegen schätzen es sehr, wenn ich ihnen in kniffligen und unübersichtlichen Situationen sage, was zu tun ist. Die meisten trauen sich ja nicht, Entscheidungen zu fällen. Was im Büro Führungsqualität ist, ist im trauten Heim ein Scheidungsgrund. Das Leben ist ungerecht. Warum muss ich nach Feierabend zum devoten Heimchen werden? Von keinem Mann wird sowas verlangt.

Ich will jetzt mit dir reden. Ja, Frauen müssen reden. Ihr Männer werdet das nie verstehen. Euch reicht es, mit dem Kühlschrank zu kommunizieren. Ihr Männer habt vielleicht das Feuer für die Bratwurst erfunden, die Sprache aber bestimmt nicht. Die Frauen haben die Sprache erfunden, um über Männer zu reden. Oder?

Was mache ich, wenn er nicht anruft? Dann bin ich weiter Single auf der Suche. Die ständige Sucherei nervt. Vielleicht sollte ich einfach mal ein paar Tage Pause machen? Oder einfach mal ein Jahr lang zufriedener glücklicher Single sein. Ginge das nicht auch? Da kann ich schon mal üben. Denn schließlich muss ich die letzten zehn Jahre meines Lebens ohne Mann verbringen. Weil sich die Männer ihren Frauen durch feigen vorzeitigen Tod entziehen. Statt sich um uns zu kümmern, wenn wir alt und pflegebedürftig sind, machen sie sich aus dem Staub. Oder besser zu Staub. Staub zu Staub und Asche zu Asche. Sind es nun die Männer, die sich durch Suff und Karrieregeilheit so früh ins Grab bringen? Oder sind es wir Frauen, die die Männer eher ins Grab sinken lassen? Es wird ja wohl keine Anpassung an die Jagd sein?

Ich lasse die Männer einfach mal Männer sein und kümmere mich um den mir liebsten Menschen – um mich. Aber allein sein ist auch doof. Vielleicht zieh ich ja mit meiner Freundin zusammen. Dann muss ich nicht mit einem so wunderlichen männlichen Wesen zusammenzuleben, das ich meistens nicht verstehe. Ja, so mache ich es! Ich ziehe mit meiner Freundin zusammen. Und wenn wir ein Kind möchten, dann findet sich schon ein Mann. Das ist doch ein viel ruhigeres Leben. Ich möchte drei Kinder. Also brauche ich dreimal einen Mann. Oder drei Männer. Das reicht doch eigentlich. Warum ist es nicht so eingerichtet, dass wir nur dann Männer wollen, wenn wir ein Kind wollen? Dann bräuchte es nur ein paar wenige Männer, die, wenn gerufen, zur Stelle sind und ihre Pflicht erfüllen. Die Hirsche machen es doch auch so. Einmal im Jahr brunftig, das sollte doch genügen. Die Hirschkühe gehen nicht das ganze Jahr zur Disko, lesen keine Kontaktanzeigen und müssen nicht ständig auf die Frisur achten. Einmal im Jahr mit einem Zwölfender – das reicht doch eigentlich. Und wenn ich es mir recht überlege, ist das auch überflüssig. Vermehrung geht auch ungeschlechtlich. Viele Tiere paaren sich überhaupt nicht und bringen trotzdem Kinder zur Welt. Dann würde ich mir die ganze Aufregung sparen. Es wäre vielleicht ein bisschen langweilig, OK. Die Bakterien haben es da ganz einfach. Wenn sie Lust auf Vermehrung haben, teilen sie sich. Was wäre, wenn ich mich einfach teilte? Wer bleibt dann in der Wohnung und wer muss ausziehen? Wer von den beiden bin dann ich? Beide? Bin ich dann eine gespaltene Persönlichkeit? Schluss damit, ich bin keine Bakterie, ich bin eine Frau. Ich will einen Mann.

Warum machen wir Frauen uns so fertig, einen Mann fürs Leben zu bekommen? Wegen der Kinder? Weil wir jemanden brauchen, der uns beim Windelwechseln, Schlaflied vorsingen, zur Schule bringen und beim Hausaufgaben helfen hilft? Ich glaube nicht, dass die Männer dafür geschaffen worden sind. Und wenn doch, dann sind die Männer noch im Prototypenstadium. Da gibt es noch viel zu verbessern. Mir wäre da mit einer Freundin oder mit meiner Mutter schon viel mehr geholfen.

Wenn ich keinen Mann brauche, warum will ich dann überhaupt einen? Fürs Bett natürlich. Oder für die Wiese, wenn keine Mücken unterwegs sind. Für guten Sex und anschließendes ausführliches Kuscheln. Da sind Männer unersetzlich. Wirklich!

Wirklich? Nein eigentlich sind sie auch da ersetzlich. Das eine oder andere lässt sich maschinell erledigen, das meine ich aber nicht. Meine lesbische Bekannte braucht keinen Mann. Sie hat mit ihrer Freundin Spaß im Bett. Ich bin mir sicher, die beiden haben besseren Sex als die meisten Hetero-Paare. Weil sich beide in der weiblichen Anatomie gut auskennen. Bis Frau einen Mann soweit hat, dass er all ihre äußeren und inneren lustvollen Stellen kennt und ihnen die gebührende Aufmerksamkeit widmet, vergeht einige Zeit. Die meisten Paare bleiben in der Anlernphase stecken. Und dann gibt es irgendwann Frust. Warum sind die empfindsamen Stellen bei den Frauen nicht so übersichtlich angeordnet, dass Männergehirne sie gleich begreifen? Um sie dann mit den Händen zu begreifen. Zu berühren! Und bitte nicht nur mit den Händen!

Das Telefon schweigt. Ich habe schlechte Laune. Und Du bist schuld. Dann werde ich also doch mit meiner Freundin zusammenziehen und mir eine männerfreie Zeit gönnen. Es ist schon unpraktisch, dass ich mich zwischen Mann und Freundin entscheiden muss. Meine Freundin könnte doch ein Mann sein? Oder auch Mann und Frau sein? Warum müssen Männer und Frauen in getrennten Körpern herumlaufen? Warum nicht alles in einem Körper? Als Zwitter, männlich und weiblich gleichzeitig. Das gäbe doch doppelten Spaß. Erst bist du der Mann und ich die Frau. Und dann umgekehrt. Und wenn wir gelenkig sind, auch beides gleichzeitig. Die meisten Pflanzen treiben es so, die Schnecken treiben es so, warum nicht auch wir?

Tututata klingling tataa. Tututata klingling tataa.       Ja, hallo? – Wie schön, dass du anrufst. – Was? – Ich gewartet? Nein, gar nicht. – – Ich wusste doch, dass du dich meldest. … .

Liebe Leser, es ist wohl an der Zeit, sich zurückzuziehen. Es geht uns nichts an, was diese eben noch so aufgewühlte Frau mit jenem Mann, dem sie nun die Last all ihrer Hoffnungen aufbürden will, zu besprechen hat. Nachdem wir uns erdreistet haben, die Gedanken dieser Frau zu belauschen, wollen wir nun ihre Privatsphäre respektieren.

Zwischen dem Klagen über die Männer allgemein und speziell über den einen, der nicht anruft, gingen dieser Frau viele Fragen durch den Kopf. Und wenn nicht endlich das Telefon geklingelt hätte, wären ihr vielleicht noch solche Fragen durch den Kopf gegangen wie:  „Warum gibt es überhaupt Geschlechter?“, „Warum haben es kleine Männer schwerer, bei Frauen anzukommen?“, „Warum will ich öfter Sex als nur einmal im Monat?“,  „Warum habe ich keine gut sichtbaren Schwellungen an meinen fruchtbaren Tagen?“„Welchen Mann soll ich nun heiraten, den aufregenden rassigen oder doch den netten braven?“ „Warum sind die Menschen nicht immer einfach Frau oder Mann, sondern auch vieles dazwischen?“ und „Wie treu kann ein treu blickender Mann wirklich sein?“.

Aber egal, wie lange die von uns so schamlos belauschte Frau auf ihren Anruf hätte warten müssen, die folgende Frage wäre ihr wohl nicht durch den Kopf gegangen: „Wie machen eigentlich Pilze Sex?“.

Wenn Sie die Antwort auf die eine oder andere dieser Fragen interessiert, dann begleiten Sie mich zu einer kurzen Reise durch die Geschichte der Sexualität! Reisen Sie mit mir durch die Geschichte der Sexualität als Teil der Evolutionsgeschichte und reisen Sie mit mir durch die Geschichte der Menschheit, die es ohne Sexualität sicher so nicht gäbe!

 

Steffen Münzberg