Aus dem Leben einer Zitronenpresse

Aus dem Leben einer Zitronenpresse

Meine Zeit verbringe ich in einem dunklen Kasten zusammen mit einem stumpfsinnigen Blechtopf. In der Eintönigkeit besteht alle meine Unterhaltung darin zu zählen, wie oft außerhalb des Kastens Geräusche zu hören sind und wie oft durch den schmalen Schlitz an der Tür des Kastens Licht hineinscheint.

Immer wenn siebenmal ein Lichtspalt zu sehen war, geht die Tür auf, der Topf wird herausgenommen, ist für einige Stunden verschwunden und wird wieder hereingestellt. Manchmal erzählt mir der Topf, was er erlebt hat, denn ich bin in meiner Langeweile begierig, irgendetwas zu erfahren, meist aber macht der Blechtopf nur kurze und wirre Bemerkungen, die in mir mehr Frust als Freude erzeugen. So bleibt mir nicht anderes, als mich darauf zu freuen, dass nach immer 365 Lichterscheinungen nicht der Topf herausgenommen wird, sondern ich.

So viel Licht, so viel Lärm, so viele Gerüche, es ist eine Freude. Ich nehme so viele Eindrücke auf wie ich nur kann, denn ich muss lange davon zehren. Und dann ist es so weit. Inmitten der vielen um mich herumstehenden Dinge, von denen ich nicht ansatzweise weiß, was sie sein könnten, liegt sie da. Jedes Mal eine andere, eine neue. Gelb und rund liegt sie da mit wunderschönen großen Poren. Ich liebe Zitronen. Ich sehe, wie sie mit einem Messer zerteilt wird und weiß nicht genau, ob ihr kurzes Stöhnen ein schmerzvolles oder lustvolles Stöhnen ist. Mir aber schickt dieses Stöhnen einen lustvollen Schauer durch meinen Glaskörper.

Dann presst sich die eine Hälfte der Zitrone an mich heran, um mich herum und ich mich in sie hinein. Wir spüren einander, so wie wir sonst nie etwas zu spüren bekommen und wir genießen es zu fühlen, wie ihr fruchtiger Saft aus ihr in mich hineinläuft. Wenn mein Verstand dann von all der saftigen Wollust fast außer Kontrolle gerät, dann geschieht es noch ein zweites Mal, noch intensiver mit der andern Hälfte der wundervollen Zitrone.

Wunderbar, davon kann ich wieder ein Jahr lang träumen. Ach, wie muss sich ein Orangenentsafter fühlen?

 

Steffen Münzberg